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StartseiteIn diesem Kapitel geht Wiebke Voß auf Streitbeilegungsmethoden ein, welche neben der klassischen gerichtlichen Streitbeilegung bestehen und erläutert dabei speziell das Themengebiet Online Dispute Resolution anhand verschiedener Anwendungsformen.
Neben diesem Phänomen außergerichtlicher Online-Streitbeilegung zeichnet sich seit einigen Jahren ein neuer Trend zur digitalen Konfliktlösung innerhalb der Ziviljustiz ab. Hintergrund solcher Bestrebungen zu staatlichen Online-Verfahren ist der merkliche Wandel der Streitbeilegungskultur in den letzten Jahrzehnten: Die individuelle Rechtsdurchsetzung im klassischen Gerichtsverfahren ist für Verbraucherstreitigkeiten vielfach zur ultima ratio verkommen, die Lösung von Verbraucherkonflikten auf After-Sales-Services des E-Commerce oder auch auf LegalTech-Anbieter verlagert, die gegen pauschalierte Erfolgshonorare die Rechtsverfolgung übernehmen. Die Dominanz dieser privatisierten Rechtsdurchsetzung trotz ihrer offensichtlichen Schwächen (insbesondere der nur abschlagshaften Rechtsdurchsetzung durch Legal Tech-Plattformen) mag man durchaus als Symptom eines Justizversagens werten, als Reaktion auf prohibitiv hohe und aus der Zeit gefallene Zugangshürden zur Ziviljustiz. Diese Zugangshürden versuchen verschiedene Rechtsordnungen weltweit nun durch laienfreundliche Systeme gerichtsverbundener Online-Streitbeilegung zu reduzieren (1.). Für einen digitalen staatlichen Konfliktlösungsprozess stellen sich dabei allerdings besondere konzeptionelle Herausforderungen, da anders als im privaten Bereich zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgaben und Prozessgrundrechten Rechnung getragen werden muss (2.).
Während sich im Ausland Systeme gerichtsverbundener ODR zumindest vereinzelt schon erfolgreich etablieren konnte, steckt die Entwicklung vergleichbarer Online-Konfliktlösung vor deutschen Gerichten noch in den Kinderschuhen.
Als Pionier und Vorzeigebeispiel der Entwicklung hin zur judicial ODR wird gemeinhin das Civil Resolution Tribunal (CRT) gehandelt, das Anfang 2016 in der kanadischen Provinz British Columbia seine Tätigkeit aufgenommen hat und bereits für Digitalisierungsreformen anderer Rechtsordnungen Modell stand (insbesondere für den Aufbau des Online Court in England).
Leitmotiv des CRT ist die Verbesserung des Zugangs zum Recht für Naturalparteien, die zur eigenverantwortlichen Handhabung ihrer Streitigkeiten befähigt werden und so von der Notwendigkeit einer kostenträchtigen Anwaltsmandatierung entbunden werden sollen; tatsächlich ist eine anwaltliche Vertretung vor dem CRT in aller Regel auch ausgeschlossen. Dabei setzt das kanadische Tribunal auf einen mehrstufigen, IT-gestützten Konfliktlösungsprozess: Vorrangig werden Selbsthilfe und Streitprävention forciert, sekundär konsensuale Streitbeilegungsmechanismen vorgehalten und erst zuletzt bietet die CRT-Plattformeine autoritative richterliche Entscheidungsfindung an. Im Kern der ersten Phase, der Präventions- und Selbsthilfestrategie, steht ein Expertensystem namens Solution Explorer, das den Rechtsuchenden durch dynamische Frageformulare mit Multiple-Choice-Optionen lenkt und auf Basis der Antworten fallspezifische, laienverständlich formulierte Rechtsinformationen bereitstellt sowie Dokumentenvorlagen erzeugt. Solche automatisiert erstellten Schreiben können beispielsweise ein Nachbesserungsverlangen für den Käufer einer mangelhaften Sache formulieren oder auch die Bitte um Schadensregulierung für den Geschädigten eines Verkehrsunfalls. Zielrichtung und Funktionsweise dieser Assistenzsoftware werden auf der Gerichtsplattform auch in einfach gehaltenen Kurzvideosanschaulich erläutert. Von der Zuständigkeit des CRT (und damit dem Expertensystem) erfasst sind dabei insbesondere geringwertige Streitigkeiten–etwa aus Kauf-oder Werkvertrag, Darlehen, Versicherungs-oder auch Mietverhältnis –, daneben aber auch kleinere Verkehrsunfall-sowie Wohnungseigentumssachen und einige gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten. Sofern dieser Self-Help-Assistent noch keine Erledigung des Konflikts herbeiführen kann, bietet das CRT nach nahtloser Online-Klageerhebung die Möglichkeit zur direkten Verhandlung zwischen den Parteien (sog. negotiation), geleitet nur durch einige grundlegende Verhaltensregeln sowie ein weit gefächertes Spektrum moderierter Streitbeilegungsverfahren (facilitation). Erst wenn auch diese Einigungsbemühungen scheitern, wird ein streitiges Verfahren durchgeführt –vielfach ohne mündliche Verhandlung oder jedenfalls per Telefon-oder Videokonferenz.
Im Fokus der Bestrebungen zur Digitalisierung der deutschen Ziviljustiz standen hingegen lange die schlichte Elektronifizierung von Kommunikationswegen, Aktenführung und –maßgeblich vorangetrieben durch die Pandemiesituation – mündlicher Verhandlung. Ausgelöst durch das Diskussionspapier zur Modernisierung des Zivilprozesses, das im Auftrag der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte und des BGH Anfang 2021 vorgelegt wurde, ist aber auch hierzulande die Einführung einer laiengerechten Online-Verfahrensform auf die politische Agenda gerückt. Das sog. „Beschleunigte Online-Verfahren“ soll nach der Vision der Arbeitsgruppe eine voll virtuelle, konkurrenzfähige Justizdienstleistung für den Bereich geringwertiger Verbraucherstreitigkeiten schaffen. Trotz rechtsvergleichender Seitenblicke auf das kanadische Modell bekennt sich die Arbeitsgruppe jedoch ebenso wenig zu einem systemintegrierten Streitschlichtungsverfahren wie zu einem Self-Help-Tool nach dem Vorbild des Solution Explorer. Zur Diskussion gestellt werden lediglich eine IT-gestützte Sachverhaltsstrukturierung sowie eine potenzielle Kooperation mit der Verbraucherschlichtung. Den knappen justiziellen Ressourcen und dem Überlastungsszenario, das der Justiz durch herabgesetzter Zugangshürden und einer damit potenziell einhergehenden Steigerung der Fallzahlen drohen könnte, dürfte das allein kaum gerecht werden.
Der Aufbau von Online-Streitbeilegungsstrukturen innerhalb des Justizsystems stellt freilich neue Herausforderungen: Staatliche ODR-Prozesse müssen verfassungsrechtlichen Vorgaben und zwingenden rechtsstaatlichen Gestaltungsimperativen Rechnung tragen, welche für die privaten ODR-Anbieter keine Geltung beanspruchen und sich deshalb im außergerichtlichen Systemaufbau vielfach nicht niedergeschlagen haben. Während die kommerziellen Konfliktlösungssysteme in puncto technischer Standards durchaus als Inspirationsquelle für judicial ODR herangezogen werden, eignen sie sich als konzeptionelles Vorbild deshalb allenfalls bedingt. Insbesondere muss die Ziviljustiz mit Blick auf den Justizgewährungsanspruch die allgemeine Verfügbarkeit staatlicher Konfliktlösungsprozesse sicherstellen, also den digital divide überwinden und technologieunkundigen Nutzern entweder ausreichende Unterstützung anbieten oder aber einen papierbasierten Alternativweg vorsehen. Für eine echte Verhandlungssituation im streitigen Verfahren müssen aus deutscher Perspektive zudem der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz der Verhandlungsöffentlichkeit sowie der europäische Prozessstandard der Mündlichkeit (nach Art. 6 Abs. 1 EMRK) gewahrt bleiben. Und auch eine der Verhandlung vorgelagerte Streitbeilegungsphase innerhalb der staatlichen Justizstrukturen wird von den prozessualen Verfahrensgarantien zumindest überformt. Beachtung verdienen bei der gerichtsverbundenen Streitbeilegung deshalb insbesondere das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), die Grundsätze der Gleichbehandlung und Waffengleichheit der Parteien sowie der Anspruch auf ein faires Verfahren.
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Prof. Dr. Wiebke Voß ist Professorin an der Universität Würzburg. Ihre juristische Ausbildung absolvierte sie an den Universitäten Osnabrück (Erste Juristische Prüfung 2014, Promotion 2018), Granada und Cambridge (LL.M.-Studium 2020/2021) sowie am OLG Frankfurt a.M. (Zweites Juristisches Staatsexamen, 2019). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich des Bürgerlichen Rechts, Zivilverfahrensrechts, Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts und der Rechtsvergleichung.