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Online Dispute Resolution

In diesem Kapitel geht Wiebke Voß auf Streitbeilegungsmethoden ein, welche neben der klassischen gerichtlichen Streitbeilegung bestehen und erläutert dabei speziell das Themengebiet Online Dispute Resolution anhand verschiedener Anwendungsformen.

Hintergründe und Entwicklung außergerichtlicher ODR

Bereits vor mehr als zwei Jahrzehnten begann sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass für Streitigkeiten der virtuellen Welt das analoge staatliche Gerichtsverfahren kaum eine zufriedenstellende Lösung bereithält. Beklagt wurde ein digital justice gap, ein Rechtsdurchsetzungsdefizit im Cyberspace, das zur Suche nach geeigneten Konfliktlösungsmechanismen jenseits der staatlichen Justiz und in geeigneter digitaler Umgebung Anlass gegeben hat.

Das Streben nach access to justice: Konfliktlösung jenseits der Gerichte

Mittelbar gehen die Ursprünge der ODR dabei auf die bereits in den 1970er-Jahren angestoßene Debatte zum access to justice zurück, die in Reaktion auf Zugangshürden zur staatlichen Gerichtsbarkeit nach privatwirtschaftlichen Alternativen zur Konfliktlösung suchte. Hintergrund solcher privater Streitbeilegungsbestrebungen waren und sind dabei die Herausforderungen bei der Durchsetzung von Verbraucherrechten mit typischerweise geringem Streitwert, die auch vielfach im Fokus rechtssoziologischer Forschung standen: Dazu zählen insbesondere überproportionale Verfahrenskosten, die bisweilen überlange Verfahrensdauer sowie komplexe, für Laien unverständliche Prozessabläufe, die häufig eine Anwaltsmandatierung mit völlig unverhältnismäßigem finanziellen Aufwand erforderlich werden lassen. Von einer Rechtsdurchsetzung im staatlichen Gerichtsverfahren sehen deshalb viele Bürger aus rationalem Desinteresse ab (in Deutschland zurzeit durchschnittlich bei einem Streitwert unter 1.840€). Methoden alternativer Streitbeilegung adressieren diese klassischen Defizite des Zugangs zur Justiz, indem sie in ein entformalisiertes, transparentes und kostengünstiges Verfahren bereitstellen und mithilfe einer Mittelsperson eine einvernehmliche Konfliktlösung herbeizuführen suchen. Dem Spektrum und der Konzeption von ADR-Mechanismen sind dabei kaum Grenzen gesetzt: Als klassische Streitbeilegungsmodelle dürfen insbesondere Mediation, Schlichtungsverfahren und Schiedsgerichtsbarkeit gelten; aber auch Early Neutral Evaluation (oft ENE), Ombudsverfahren oder Mischformenwie Med-Arb oder Arb-Med (jeweils aus mediation und arbitration) sind verbreitet.

Early Neutral Evaluation (ENE), zu deutsch frühzeitige neutrale Bewertung, ist eine Form der alternativen Streitbeilegung, bei der ein unabhängiger und unparteiischer Gutachter ernannt wird, um den Parteien eine rechtliche Einschätzung ihres Falles zu geben. (Quelle: Stephens Scowns)

Med-Arb ist ein Verfahren zur Streit- und Kosnfliktbeilegung, bei der zuerst eine Mediation und ggf. anschließend ein Schiedsgerichtsverfahren (engl. arbitration) durchgeführt wird. Arb-Med ist das entsprechende Gegenstück, bei der zuerst ein Schiedsgerichtsverfahren und ggd. anschließend eine Mediation durchgeführt wird. (Quelle: Wikipedia)

Von ADR zu ODR: Interne Beschwerdemanagementsysteme des E-Commerce

In Fortführung dieser Alternative-Dispute-Resolution-Bewegung haben sich bereits Mitte der 90er-Jahre im aufkommenden E-Commerce sowie in ersten sozialen Foren Online-Streitbeilegungsverfahren entwickelt. In ihrer ursprünglichen, primitivsten Form replizieren ODR-Mechanismen dabei schlicht Funktionsweise und Design der analogen ADR-Methoden in einer digitalen Umgebung, setzen also auf menschliche Streitmittler und verlagern alleine Beschwerdeeinlegung und Kommunikation in den virtuellen Raum. Die Standardisierbarkeit der Konflikte bei typischen Massengeschäften des E-Commerce – etwa: die Ware kommt beschädigt beim Käufer an oder der Verkäufer erhält den Kaufpreis nicht wie vereinbart – hat indes schon bald Anlass zu einem weitergehenden, transformativen IT-Einsatz gegeben. Heute wickeln private Online-Beschwerdemanagementsysteme von Plattformen wie Amazon, eBay, PayPal oder Alibaba technologiegestützt unzählige Streitigkeiten ohne oder mit nur marginaler menschlicher Intervention ab; allein das prominente Vorzeigesystem der Internetkonzerne eBay und PayPal, das eBay Resolution Center bzw. der PayPal Käuferschutz, legt nach eigenen Angaben jährlich 60 Millionen Streitfälle voll- oder teilautomatisiert bei. Hintergrund derartiger privater Online-Streitbeilegungsangebote großer Internetplattformen sind dabei marktwirtschaftliche Erwägungen: Das Versprechen einer schnellen, kostengünstigen und leicht zugänglichen Streitbeilegung im Konfliktfall soll vertrauens-und akzeptanzstiftend wirken, insbesondere für den typischerweise vorleistenden Verbraucher.

Öffentliche ODR-Initiativen und anerkannte Schlichtungsstellen

Wegen ihres Versprechens von vereinfachtem Zugang zum Recht sind außergerichtliche Online-Streitbeilegungsverfahren aber auch in öffentlichen Initiativen forciert worden. Insbesondere die EU hat sich der Förderung außergerichtlicher Konfliktlösung verschrieben und jenseits der internen Systeme der großen Online-Plattformen ein flächendeckendes Netz von Streitbeilegungsstellen sicherstellen wollen. Dazu ist im Jahr 2013 zum einen die Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten (RL 2013/11/EU, sog. ADR-Richtlinie, in Deutschland umgesetzt durch das VSBG) erlassen worden, die Mindestverfahrensstandards für öffentlich anerkannte Streitbeilegungsstellen schafft, zum anderen die Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten (VO Nr.524/2013, sog. ODR-Verordnung). Mit dieser Verordnung ist eine Europäische Online-Streitbeilegungsplattform geschaffen worden, die eine unabhängige, unparteiische, transparente, effektive, schnelle und faire außergerichtliche Online-Beilegung von Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern ermöglichen (vgl. Art.1 ODR-Verordnung) und dadurch ein hohes Verbraucherschutzniveau sowie einen funktionierenden Binnenmarkt sicherstellen will. Allerdings dient die Plattform lediglich als zentrales Koordinierungsportal, das die Online-Streitbeilegung nicht selbst durchführt, sondern den Verbraucher bloß zur passenden Schlichtungsstelle des jeweiligen Mitgliedsstaates lotst. Auch geht es in der Sache letztlich um die Beilegung von Streitigkeiten aus Online-Verträgen – und nicht so sehr um eine Streitbeilegung gerade im Online-Wege; die Bezeichnung der Verordnung ist deshalb jedenfalls missverständlich. Auf internationaler Ebene hat sich auch die UNCITRAL um die Ausarbeitung allgemeiner Standards für ODR-Verfahren verdient gemacht und Modellregelungen etwa für Transparenz, Unabhängigkeit und effektivem Verfahrensablauf entwickelt. Als bloßes Soft Law sind diese Vorgaben der UNCITRAL allerdings nicht verbindlich. Ohnehin dominieren heute die internen Beschwerdemanagement-Systeme der großen Internet-Plattformen die Realität der Online Dispute Resolution; das Modell der (staatlich anerkannten oder an internationalen Standards ausgerichteten) unabhängigen Verbraucherstreitbeilegung hat sich daneben bislang jedenfalls nicht in vergleichbarem Maße etablieren können.

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Prof. Dr. Wiebke Voß
Prof. Dr. Wiebke Voß

Prof. Dr. Wiebke Voß ist Professorin an der Universität Würzburg. Ihre juristische Ausbildung absolvierte sie an den Universitäten Osnabrück (Erste Juristische Prüfung 2014, Promotion 2018), Granada und Cambridge (LL.M.-Studium 2020/2021) sowie am OLG Frankfurt a.M. (Zweites Juristisches Staatsexamen, 2019). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich des Bürgerlichen Rechts, Zivilverfahrensrechts, Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts und der Rechtsvergleichung.

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