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Digitalisierung des Rechts

Diese Einheit ist der Start in die Lernplattform. In dieser Einheit lernst du von Markus Hartung, weshalb du dich mit der Digitalisierung im Recht beschäftigen solltest und was sich in Kanzleien, Justiz und Verwaltung verändert.

Warum Legal Tech?

Wenn Legal Tech also jetzt u.a. durch die Angebote der Legal Tech University erwachsen wird und wir den Hype hinter uns lassen, können wir uns wieder fragen: Warum das alles? Was ist Recht, und welche Rolle spielt Technik dabei? Diese Frage geht tiefer als die Beherrschung des juristischen Werkzeugkastens mit oder ohne Software. Vermutlich beginnt niemand ein Jurastudium deshalb, weil er Legal Tech gut findet. Damit meine ich die intrinsische Motivation, also das, was einen dazu treibt, Jura zu lernen oder besser: Juristin oder Jurist zu werden. Wenn das Recht alle Regeln zur Konfliktverhütung und -lösung umfasst, damit ein geordnetes und friedliches Miteinander möglich ist, muss man für sich beantworten, was einen an diesem System so sehr interessiert oder bewegt, dass man sich in die Mühen eines Jurastudiums begibt, verbunden mit der Erwartung, damit für den Rest seines Lebens zu tun zu haben. Für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ist das in der Berufsordnung (§ 1 Abs. 2 BORA) enthalten – denn unsere wichtigste Aufgabe, eigentlich die Hauptaufgabe, ist die Gewährleistung der Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern am Recht, und außerdem daran mitzuwirken, den Rechtsstaat zu verwirklichen. Das, was wir im Jurastudium lernen, soll uns dazu befähigen, genau das zu tun.

Legal Tech und rationales Desinteresse

Was hat das nun wieder mit Technik, mit Legal Tech zu tun? Nun, nach dem Recht kommen wir zur Rechtspflege. Jedes Recht braucht ein funktionierendes und erreichbares System, in dem man Rechte durchsetzen oder sich gegen eine Inanspruchnahme verteidigen kann. Diese Systeme gibt es, sie stammen aus dem vorvergangenen Jahrhundert und haben sich vielfach bewährt. Aber sie waren schon den Herausforderungen der Industrialisierung nur unvollkommen gewachsen und drohen vollends zu versagen, wenn es um Streu- und Bagatellschäden, überhaupt um die Rechte von Verbraucher:innen geht.

Der Begriff des rationalen Desinteresses beschreibt die Entscheidung einer Verbraucherin, die Durchsetzung eines Rechts, die Beseitigung einer Rechtsverletzung gar nicht erst zu beginnen, weil er oder sie findet, dass der Aufwand und die Kosten der Rechtsverfolgung völlig außer Verhältnis zum Wert des Anspruchs sind.

Sie wenden sich ab und suchen andere Wege, um ihre Ansprüche durchzusetzen, außerhalb des dafür eigentlich vorgesehenen Systems der staatlichen Justiz. Diese Hilfe finden sie auch: entweder im Internet, wie alles andere eigentlich auch, oder sie bedienen sich anderer privater Konfliktlösungsangebote, jenseits der staatlichen Justiz.

Dieser Befund gilt nicht nur für den Bereich Verbraucherrecht und B2C. Auch im Wirtschaftsrecht beobachten wir eine Abkehr von den staatlichen Rechtspflegeangeboten. Es ist kein Zufall, dass Unternehmen ihre wesentlichen Auseinandersetzungen eher vor Schiedsgerichten als vor staatlichen Gerichten austragen. Das Ziel der Funktion Recht und Risikomanagement im Unternehmen besteht auch nicht darin, Auseinandersetzungen glorios zu gewinnen, sondern sie zu vermeiden. Und Unternehmen bauen stark auf den Einsatz von Softwaretechnik, um diesem Ziel näher zu kommen.

Hier setzt Technik an: Legal Tech ist nie Selbstzweck, sondern ein Werkzeug, um das, was wir als Jurist:innen tun, besser machen zu können. Technik soll das System der Rechtspflege effizienter, kostengünstiger und überhaupt zugänglicher gestalten. Mein Mitherausgeber Micha-Manuel Bues hat Legal Tech damals so definiert:

Legal Tech beschreibt den Einsatz von modernen, computergestützten, digitalen Technologien, um Rechtsfindung, -anwendung, -zugang und -verwaltung durch Innovationen zu automatisieren, zu vereinfachen und – so die Hoffnung – zu verbessern.

Darum geht es letztlich nur: wie wir heute und morgen mit Hilfe von Legal Tech bessere Anwält:innen, Richter:innen oder Rechtsdienstleister:innen werden, oder: wie wir die juristische Profession und das System der Rechtspflege durch Technologie heute und morgen verbessern.

Digitalisierung in der Justiz...

Das sagt sich so leicht dahin – aber es ist ein riesiger Berg an Arbeit, der da vor uns, vor Ihnen als Studierende dieser Legal Tech University liegt. Wo Sie in der Rechtspflege auch hinschauen: es eröffnen sich Ihnen analoge Abgründe. Sie finden Verfahrensabläufe und Verfahrensordnungen, die viele Jahrzehnte alt sind, und Mindsets, die lieber „am Bewährten“ festhalten, als sich ernsthaft zu fragen, ob die Rechtspflege in einem demokratischen Rechtsstaat, der sich wiederum in einer digitalisierten Welt beweisen und behaupten muss, weiterhin auf „Bewährtes“ bauen darf – auf analoge Kommunikation bis zur Pflege der Nichterreichbarkeit der Justiz, auf Berge von Papier, auf umständliche und kostentreibende Abläufe mit Arbeitsplätzen, die selbst für Menschen ohne Ausbildung unterkomplex sind. Es gibt viele Gründe dafür, warum die Rechtspflege so rückständig ist – es ist die mangelnde politische Wertschätzung für die Justiz, mangelnde Bereitschaft, ernsthaft in die Rechtspflege zu investieren, dann auch eine sehr strukturkonservative Haltung vieler Jurist:innen, verbunden mit weitgehender Unvertrautheit derjenigen, die in der Rechtspflege arbeiten, mit moderner Technologie, geschweige denn Legal Tech. Die Rechtspflege sitzt gedanklich noch unter der Gerichtslinde und löst ihre Konflikte so wie vor vielen hunderten von Jahren – und soll das nun plötzlich per Zoom und anderer Software bewältigen. Dass das einige Entwicklungsschritte gleichzeitig nimmt, ist verständlich. Die Reform der Justiz, auch die Reform der Verwaltung, ist eine Jahrhundertaufgabe, für die wir nur wenige Jahre Zeit haben und vor allem: jetzt beginnen müssen.

… und in der Verwaltung

Aber das ist alles kein singulärer Zustand in der Rechtspflege: Deutschland ist insgesamt ein zutiefst analoger Staat, der zwar ein inniges Verhältnis zum Maschinenbau und zur Autoindustrie hat (Werbeclaims wie „Technik, die begeistert“ oder „Vorsprung durch Technik“ gab es nur in der Automobilindustrie), aber z.B. nicht zu Unternehmen wie SAP, der Software AG, Teamviewer oder anderen. Unternehmen wie Apple, Google oder Amazon sind in Deutschland schon gar nicht denkbar. Uns fehlt es keinesfalls an klugen Köpfen! Aber viele der klugen Digitalisierungsköpfe gehen lieber ins Silicon Valley, wo ihre Ideen und Innovationen nicht nur wertgeschätzt, sondern auch finanziert werden. Die Pandemie hat es uns noch einmal drastisch vor Augen geführt, wie wenig Regierung und Verwaltung in der Lage sind, auf Krisen angemessen und flexibel zu reagieren, die erforderlichen Workflows digital zu organisieren und Entscheidungen aufgrund digital ausgewerteter Informationen und Informationsflüssen zu treffen. Wir scheinen gut darin zu sein, Feldlazarette und Impfzentren aus dem Boden zu stampfen. Aber die Organisation eines Impfprozesses für die gesamte Bevölkerung in möglichst kurzer Zeit stellt uns vor kaum zu überwindende Hürden.

Supervised Learning

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Markus Hartung
Markus Hartung

Markus Hartung ist Rechtsanwalt und Gründer der Kanzlei Chevalier Rechtsanwälte. Er blickt auf Stationen als Einzelanwalt, Managing Partner in einer internationalen Großkanzlei, als Wissenschaftler und als Strategieberater zurück. Als Gründer und Director am Bucerius Center on the Legal Profession an der Bucerius Law School beschäftigt sich Markus Hartung eingehend mit Rechtsmärkten, erfolgreichen Kanzleimodellen, Mandantenzufriedenheit und Legal Tech.

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